Thema: Dekolonisierung

„Wer ist Amerikaner*in ? Was ist eigentlich amerikanisch ?“


Im Nachklang zu meinem 2023 publizierten Buch „Three Steps into Oneness“ in englischer Sprache, in dem die Dekolonisation als Aspekt der „Ganzheitlichen Weltsicht“ behandelt wird, und im Zuge der Auseinandersetzung mit der bewussten Dekolonisierung der Schweiz bzw. von mir als Schweizer - inspiriert von der aktuellen Ausstellung „Kolonial - Globale Verflechtungen der Schweiz“ im Landesmuseum Zürich - bin ich auf den Begriff des/r „Amerikaner*in“ oder auf denjenigen von „amerikanisch“ gestossen.

Ich stelle fest, dass diese Bezeichnungen schon lange Zeit weltweit immer wieder unpräzise, irreführend und neokolonialistisch* verwendet werden - von vielen US-Amerikaner*innen wie von den Medien wahrscheinlich gewohnheitsmässig und unbewusst, aber auch ganz bewusst … und deshalb dekolonisiert werden müssen.

*) Neokolonialismus ist eine moderne Form des Kolonialismus, bei der ehemalige Kolonialmächte oder neue Hegemonialstaaten entscheidenden Einfluss auf die wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Belange anderer unabhängiger oder dekolonisierter Nationen ausüben (Quelle). 



Eigentlich ist es ganz klar: so gut wie ich als Schweizer auch Europäer bin, sind US-Amerikaner*innen auch Amerikaner*innen. 

Der Begriff „Amerikaner*in“ benennt aus einer dekolonisierten Sichtweise primär und ausschliesslich den Menschen, der auf dem Doppelkontinent Amerika oder heute auch oft - auf „den Amerikas“ - heimisch oder geboren ist.   


In diesem Sinn sind z.B. die Inuit in Grönland, Kanadier*nnen, US-Amerikaner*innen (Nordamerikaner*innen), Mexikaner*innen, Salvadorianer*innen (Mittel- oder Mesoamerikaner*innen), Peruaner*innen und Chilen*innen (Südamerikaner*innen) etc. alle zusammen Amerikaner*innen.

Sobald dies geklärt ist, wird es eine sehr anspruchsvolle, grosse und differenzierte Aufgabe, die Frage zu beantworten, was eigentlich „amerikanisch“ ist - und dass die bekannten US-amerikanischen Begriffe z.B. MacDonald, Google und Apple etc. nur einen verhältnismässig kleinen Teil davon darstellen.

In diesem Sinn gibt es keinen amerikanischen Pass (sondern über Hundert  verschiedene, amerikanische Pässe), es gibt keine amerikanische Sprache (sondern ca. 982 Sprachen aus diversen Sprachfamilien) und schon gar keine amerikanische Kultur, welche - spätestens nach der Aufbereitung der sehr eindrücklichen Geschichte der sog. präkolumbianischen Amerikas vor 1491 - also vor dem Eintreffen des Europäers Columbus - das auch aus diversen, grossen Hochkulturen bestand und der anschliessenden Kolonisation durch diverse europäische Länder (Spanien, England, Holland, Portugal etc.) ausgesetzt war - nur als grosse, lange und sehr vielseitig und -schichtige Geschichte erzählt werden kann.

Von den Bemühungen einer heutigen, europäischen und weltweiten Dekolonisation aus betrachtet - neben den vielen, nationalen Bemühungen wie z.B. in der Schweiz - ist es meines Erachtens in diesem Kontext sinnvoll stellvertretend am Beispiel der USA - das sich gerne als der westlicher "Global Leader" sieht und gebärdet - Klarheit zu schaffen, Korrekturen vorzunehmen und diese Verzerrung der Wahrnehmung der postkolonialen, hegemonialen und v.a. neokolonialistischen Verwendung des Begriffs „Amerikaner*in“ und „amerikanisch“ als Synonym für „US-Amerikaner*in“ und „US-amerikanisch“ schrittweise und als wichtigen, symbolischen Beitrag zur weltweiten Dekolonisation bewusst zu beenden.

Dies eröffnet dann die Chance „das Amerikanische“ als grosse, faszinierende Vielfalt der Geschichte des Doppelkontinentes, im speziellen in Würdigung der präkolumbianischen Zeit und seinem Reichtum der indigenen Kulturen und Sprachen neu zu entdecken. Dabei darf selbstverständlich auch die US-amerikanische Kultur sich mit ihrer ganzen Vielfalt, Innovation und Kraft, aber auch in ihren Entwicklungsthemen, zeigen.

Aus dem Besprochenen und aus dem Verständnis der Dekolonisation heraus gibt glasklar und aus verschiedenen Gründen - wie kürzlich von Kamala Harris im Wahlkampf für das Präsidentenamt verwendet - kein „America is the greatest Nation on Earth“
Nein, es gibt hunderte flächenmässig grosse, mittlere und kleine - jede auf ihre Art einzigartig, wert- und bedeutungsvolle - Kulturen in hunderten von Nationen auf der ganzen Welt, auch, aber nicht nur, die US-amerikanische Kultur.

Aus einer ganzheitlichen Weltsicht heraus an kolonialistischen Strukturen (Post- oder Neokolonialismus) heute festzuhalten ist genau so überholt, widersinnig und falsch, wie der Begriff der "Rassen" und damit die neusten wissenschaftlichen Fakten zu ignorieren, dass wir alle Menschen ursprünglich aus Afrika stammen, dass bis vor ein paar tausend Jahren alle Europäer dunkle Hautfarbe hatten und dass Menschen mit weisser Hautfarbe - anthropologisch eher als ein Degenerationsprodukt betrachtet - "besser" seien als alle anderen.

In aller Bescheidenheit und im Wissen einer bedingten Vergleichbarkeit darf hier in diesem Zusammenhang erwähnt werden, dass die Schweiz nicht nur mit der Ausstellung im Landesmuseum in Zürich konkrete Schritte in Richtung Dekoloniserung unternimmt bzw. unternommen hat - in der landesinneren Aufarbeitung der "Kinder der Landstrasse" bzw. dem Verhältnis zu den Jenischen (die mit ihrem Schicksal mit indigenen Menschen vergleichbar sind) in Sachen Versöhnung (Ausgleichzahlungen, Standplätze, politische Rechte etc.) doch schon ein Stück weit gekommen ist - und schliesslich mit einem traditionellen, politischen Mehrparteien-System - im Gegensatz zu der USA - doch bei der Umsetzung von Demokratie nach wie vor recht gut aufgestellt ist. Viele Aufgaben sind auch in der Schweiz noch zu lösen.

Leadership im Aussen als ganzheitlicher „Global Player“ würde bedingen, dass die USA statt Nationalismus, Rassismus und Unterdrückung der indigenen Bevölkerung eine Form der gelebten, nationalen Einheit in der gleichwertigen Vielseitigkeit und Demut als Form einer nachhaltigen Stärke im Inneren praktizieren und damit in die Welt ausstrahlen würde; und diese schliesst ganz selbstverständlich Äusserungen durch führende, politische  Persönlichkeiten wie „America first“ (Republikaner) oder „America is the greatest Nation on Earth“ (Demokraten) aus - da sie das Gegenteil zum Ausdruck bringen.

Aus der Warte der Ganzheitlichen Weltsicht gilt natürlich in Analogie alles oben genannte für jede andere Nation der Welt, die sich gerne aktiv und vielleicht auch in gewissen Aspekten als „Global Leader“ in einem aufbauenden, konstruktiven, ausgleichenden Prozess der Weltgemeinschaft beteiligen möchte - wie z.B. das Land Buthan mit seiner Innenpolitik des Bruttonationalglücks

So lasst uns jetzt symbolisch und als bewusster Akt der Dekolonisation die „US-Amerikaner*innen“ bei dem eben genannten Prozess unterstützen aus ihrer Jahrzehnte alten Verzerrung, aus dieser Art von Realitätsverlust, aus der damit verbundenen, ungesunden, post- und neokolonialen Arroganz „DIE Amerikaner“ zu sein bzw. sein zu müssen zu durchbrechen ... und lassen wir sie sich in ein ganz normales und gewöhnliches Menschen-Sein entspannen, wie wir es uns für uns alle als Gemeinschaft wünschen und ersehnen - und gleichzeitig in eine geschärfte Identität als US-Amerikaner und als Mit-Amerikaner auf einem gemeinsamen Doppelkontinent.

Natürlich haben wir Europäer*innen - und wie erwähnt auch wir Schweizer*innen - gleichzeitig auch unsere koloniale Vergangenheit aufzuarbeiten und zu klären, die seit ca. 500 Jahren existierende und heute zu Recht hinterfragte sog. „Eurozentrizität“ zu verabschieden, die bis heute noch ihr Unwesen bis in das internationale Völkerrecht hinein treibt; dieser doch entscheidende Ort der Dekolonisation bleibt unvollständig, indem das internationale Völkerrecht, von den ehemaligen Kolonialstaaten geschaffen, noch immer zu keiner wirklichen Gleichstellung und Versöhnung auf Augenhöhe mit den ehemaligen kolonisierten Staaten bereit ist, z.B. als Reparationszahlungen.

Bei dem in diesem Artikel thematisierten Beitrag zur Dekolonisierung wollen wir für den Moment und in seiner speziellen, symbolischen und beispielgebenden Bedeutung den US-Amerikaner*innen den Vortritt lassen und rufen:

Please, America first !